Sie sind hier: Startseite > Spiritualität>Predigten>Was unterscheidet Fanatismus von heiligem Eifer?
Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist,
dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat!
Liebe Gemeinde,
der 10. Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest liegt ungefähr in der Mitte dieser Festzeit. Die Kirche denkt dabei an ihre Eltern, die Juden, und deshalb ist der Wochenspruch aus Psalm 33 mit seiner positiven Stimmung für Christen manchmal sehr anstößig gewesen.
Die Gnade unseres Herren Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
in dieser Predigt wird von Gefühlen die Rede sein. Von Wut und Angst,
von Zorn und Sorge, von Trauer und von Liebe.
Die Geschichte der Tempelrede des Jermijahu – sein Name war Programm: Gott erhöht – ist eine Geschichte der Kriege, der Überheblichkeit und Arroganz, eine Geschichte voller Politik und Niederlagen. (War Text der Bitte um Sündenvergebung: Jer 7)
Immer wieder haben fromme Menschen bei anderen die Tempel zu reinigen (war Lesungstext und Evangelium: Lukas 19, ab V. 41: Jesus weint über Jerusalem) versucht, immer wieder machte es Leute wütend, wenn sie bei ihren Nachbarn und Freunden, vielleicht sogar bei denen, die ihr Vorbild waren, Geschäftemacherei sahen, wo sie Sozialarbeit erwarteten.
Immer wieder treten Menschen aus der Kirche aus, weil es ihnen nicht passt, dass die Kirche Geld und Sachen besitzt hat und dies zu mehren versucht.
Immer wieder streiten sich die Kinder mit ihren Eltern, und wenn sie mit moralischen Gründen argumentieren, kann es sie schwer verletzen.
Immer wieder ....
Lernen Menschen nie aus ihrer Geschichte?
Doch.
Einer, der die Konflikte zwischen „alteingesessenen“ Würdenträgern und „jungen“ Freigeistern am eigenen Leibe erfahren hat, ist heute der meistgelesene Autor der Weltgeschichte. Er war selber hundertprozentiger Sittenwächter und dann von der Gnade überzeugt.
Erst verfolgte er die junge Kirche mit Polizeigewalt und flammenden Reden, danach wurde er zum Apostel Jesu und bekannte, ihn – den Auferstandenen -
mit eigenen Augen gesehen zu haben.
Klein von Gestalt, als Kind und als Erwachsener eher ein Außenseiter, von den anderen verspottet und von sich selbst zu sehr kontrolliert, lebte dieser Mann. Er berichtet von einer Krankheit, die ihn oft überfiel, - wahrscheinlich war er Epileptiker. Dabei war er von scharfem Verstand und verdiente sein Geld als Zeltmacher.
Er lebte in einer Zeit, als sich ein kleines Volk im östlichen Mittelmeerraum gegen das römische Weltreich wehrte und nach dem zweiten Aufstand Tempel und Heimat verlor.
Das kleine Volk hat überlebt, zerstreut unter die Völker, und bringt bis heute kluge und und einflussreiche Schriftsteller, Regisseure, Sänger und Politiker hervor. Obwohl vor gar nicht langer Zeit, an die sich einige von Ihnen noch erinnern, ein starkes Volk in Europa die völlige Vernichtung dieses Volkes plante und mit dem Hab und Gut der Vergasten seinen Feldzug gegen die Nachbarn finanzierte.
Der kleine Mann, der heute wahrscheinlich keinen Job in unseren Firmen bekommen hätte, machte aus seinem Spitznamen „der Kleine“ ein Markenzeichen, auf das sich heute die mächtige Kirche Roms bezieht. Womit wir wieder am Anfang wären.
Sie haben es sicher erraten: Das widerspenstige Volk sind die Juden, die bis heute bei uns leben, obwohl schon viele sie vernichten wollten, nicht nur Deutsche (König Friedrich von Preußen, so wird erzählt, fragte einst seinen Hofprediger und verlangt einen Beweis für Gottes Existenz. Die Antwort war: "Majestät, die Juden!"), - und der kleine Mann ist Schaul von Tarsus, der nach seinem Entschluss, Christ zu sein, nur noch Paulus hieß.
Ich sagte es schon: Seine Briefe an die Christen in Rom und Korinth werden heute noch gelesen. In ihnen warnt und unterweist er die Gemeinden, und dabei scheut er sich nicht, sehr persönlich zu werden – er kennt sie und er kennt sich selbst. Sein Ringen um die Wahrheit halte ich für vorbildlich: Mit scharfem Verstand, ehrlich und mit festem Glauben sucht er nach Worten, die die Leser überzeugen sollen.
Der Predigttext und de Epistel für den 10. Sonntag nach Trinitatis stehen im Römerbrief des Paulus.
Schon damals fiel die Gemeinde in Rom unangenehm damit auf, dass sie sich für die besten, die stärksten und die wichtigsten Christen hielt, und ihre Glieder sahen im Scheitern der jüdischen Aufstände einen Beleg dafür, dass Gott sein Volk verstoßen habe.
Das Verhältnis der Kirchen untereinander, die Ökumene, leidet auch heute noch unter dem Selbstverständnis der römischen Kirche, und so manche Ideen, die auf eine Verurteilung der Juden hinauslaufen, sind auch heute noch lebendig.
Um so wichtiger, zu lesen, was Saul von Tarsis schon damals den Christen in Rom schrieb.
Ich lese Römer 11, Vs 25-32:
25 Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist; 26 und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob. 27 Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.«
28 Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen. 29 Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. 30 Denn wie ihr zuvor Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams, 31 so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen. 32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Wir erinnern uns: Christen und Juden standen sich damals so gegenüber, wie in manchen Dörfern die Gemeinschaft und die Landeskirche. Die Kirche war jung, und Bekehrungen waren häufig.
Die ersten Christen waren Juden, und auch, als Paulus seine Briefe schrieb, sprach man in den meisten Gemeinden genau so, wie Jesus es tat, und las die hebräische Bibel, von Abraham, Moses und den Profeten. Paulus selbst war ein bekehrter Jude. Was macht er mit seiner Vergangenheit? Wie begründet er seine Zukunft? Verurteilt er die Juden? Sieht er, wie viele andere, die Belagerung Jerusalems als Strafe Gottes an? Wurde er Christ, um der Verfolgung zu entgehen? Wie beurteilt er die Tatsache, dass es Juden gibt, die keine Christen werden? Macht er mit bei dem Schwarz-Weiß-Denken, das alle Menschen in Freunde und Feinde einteilt, je nachdem. ob sie zu „uns“ oder zu „den anderen“ gehören?
Nein. Er argumentiert streng nach der Bibel und von seinem Glauben, von seiner Überzeugung her. Gefühle sind ihm bekannt und bewusst, Gedanken und Ideen vermag er zu fassen, aber entscheidend ist die Schrift, der Glaube und das Vertrauen in Gott! In diesem Briefabschnitt zitiert Paulus Jesus, Moses und Jeremia. Es ist ähnlich wie bei der Relativitätstheorie: Albert Einstein (übrigens auch ein kluger Mann aus diesem kleinen Volk) hat die Tatsache, dass Licht nicht schneller oder langsamer wird, wenn es von einem durchs Weltall sausenden Stern zu uns kommt, einfach akzeptiert und kam so zu dem Schluss, dass sich für sausende Himmelskörper dann eben die Zeit verlangsamt, wenn schon nicht das Licht seine Geschwindigkeit verändert. So kommt Paulus, der die Tatsache als gegeben voraussetzt, dass Gott, sein Herr, nicht lügt, wenn er die Juden erwählt, hier zu dem Schluss, dass Gott selber Juden im Dunkel über das Heil in Jesus Christus lässt, damit die Kirche Gelegenheit hat, auch Nichtjuden von diesem Heil zu erzählen. Denn der Glaube, in der Schrift begründet, wiegt mehr als das, was man auf den ersten Blick sieht.
Wie argumentiert Paulus hier? Schritt für Schritt lese ich die Verse daraufhin durch:
Paulus erklärt seine Absicht: Er will nicht, dass die Brüder sich selbst für klug halten
Paulus formuliert die These, die er „Geheimnis“ nennt: „Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange, bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist“ - das sagte Jesus in den Abschiedsreden
Denn dass die Juden Anteil haben an der Erlösung, am Heil, ist klar, weil Jeremia es so angekündigt hat. „Er wird die Gottlosigkeit von Jakob abwenden“
Den Vorwurf spricht er aus und setzt ihm den biblischen Befund gegenüber: Es kommt also auf den Blickwinkel an! (V29)
Gottes Wort steht fest – hier wird die Thora, das Gesetz des Moses bemüht.
Niemand ist besser, denn alle sind auf Gnade angewiesen.
Wie kommt man zu solch einer nüchternen Sicht und Milde?
Ich glaube, das liegt daran, dass Paulus sich seinen Gefühlen stellt und darüber nachdenkt. Das scheint mir der entscheidende Unterschied zu sein zwischen Fanatismus und Liebe. Denn: Grund zum Zorn gibt es genug. Auch heute noch müssen Menschen hungern, frieren und stehlen, weil andere Menschen mehr Geld haben, als sie brauchen. Auch heute noch werden im Namen Gottes Kriege geführt und Menschen gequält. Auch heute noch ist viel zu tun, bis unter uns Gerechtigkeit herrscht.
Viele tun es mit blinder Wut, verbrennen Polizeiautos oder steinigen Frauen. Jesus hat geweint, bevor er die Händler aus dem Tempel vertrieb.
Sein Handeln war nicht blind. Er rechnete nicht mit dem Erfolg. Er wusste, dass eine Tat des Widerstands alleine nicht die Herzen und die Weltgeschichte ändert. Er liebt diese Welt und weinte über seine Freunde, seine Familie, sein Leben, und tat dann das, was er für richtig hielt. So tat es auch Paulus.
Beide taten das, was sie für richtig hielten, aber hielten sich nicht selbst für klug.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
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