Sie sind hier: Startseite > Spiritualität>Predigten>vom Sinn des Sterbens: Der Knecht Gottes, ist er frei? (Karfreitag 2014)
Liebe Gemeinde!
Heute erinnern wir uns daran, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Wir haben gehört, wie der Evangelist Lukas diesen Tod schildert. Wie im gesamten Evangelium wird auch hier immer wieder auf die Schriften, d.h. auf die Bibel hingewiesen, die für Jesus und die Menschen, die ihn kannte, wichtig waren als Wort Gottes.
Das letzte Wort, das Jesus am Kreuz betet, ist ein Wort aus Psalm 31: In deine Hände befehle ich meine Geist.
Die Soldaten werfen das Los über seine Kleider, wie in Psalm 22 beschreiben. Und Jesus betet für die, die ihn kreuzigen. Das war der äußerst demütigende Sklaventod, von dem römischen Bürger verschont wurden.
Jesus stirbt diesem schmerzlichen und schmachvollen Tod als Jude. Und im Bewusstsein der Menschen, die diesen Tod als christliche Gemeinde deuteten, war es das Leiden und der Tod eines unschuldigen, gottesfürchtigen und gerechten Menschen, der das Leiden auf sich nahm, damit viele den Zugang zum Allerheiligsten im Tempel erlangen. Deshalb zerreißt der Vorhang im Tempel in dem Moment. Als Jesus stirbt.
Der Predigttext heute ist ein Abschnitt aus dem Propheten Jesaja, einem von vier so genannten Gottesknechtsliedern.
Wir hören die Verse Kap. 52, 13- Kap 53, 13.
13 Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein.14 Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder,15 so wird er viele Heiden besprengen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken.
53 1 Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? 2 Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.3 Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. 4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. 5 Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. 6 Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. 7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. 8 Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. 9 Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. 10 So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. 11 Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. 12 Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben und er soll die Starken zum Raube haben, dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten.
Da leidet einer stellvertretend für viele, damit wir, die vielen, Frieden hätten und durch die Wunden geheilt sind.
Wenn wir heute an Karfreitag diese Worte lesen bzw. hören, denken auch wir an Jesus Christus, der am Kreuz gelitten und gestorben ist.
Diesem leidenden Gerechten aus dem Jesaja Buch wird versprochen, dass dieses Leiden nicht umsonst ist, er wird das Licht schauen und die Fülle haben. Das ist ebenfalls ein Hinweis darauf, dass Jesus am Ostermorgen das Licht der Auferstehung erblickte und nicht im Tod blieb.
Doch manches, was hier beschreiben ist, ist für uns neu, beziehungsweise trifft es auf Jeus nicht zu.
In unserer Wahrnehmung der Evangelien war er nicht unansehnlich, nicht schon in seinem Leben von Krankheit und Schmerzen geplagt, nicht verachtet und unwert, dass man sich ihm nicht gern genähert hätte. Im Gegenteil, er selbst, so erzählen die Evangelien, hat sich denen genähert, die so verachtet waren, mit denen die anderen nichts zu tun haben wollten aus ganz unterschiedlichen Gründen
Und obwohl Jesus die Liebe Gottes verkörperte und den Menschen, egal wie und was sie dachten oder darstellten, voller Güte begegnete, gab es solche, die ihn lieber tot als lebendig sehen wollten.
Und die andere anstifteten, statt „Hosianna“, „Kreuzigt ihn“ zu rufen.
Und so kam es, dass ein Unschuldiger, Gerechter, wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wurde, ohne dass er Unrecht getan oder andere betrogen hätte.
Warum nur? Wie kann Gott das zulassen? Wie kann Gott so grausam sein? Welchen Sinn hat der Tod der Gerechten? Hat ihr Tod, auch der Tod Jesu, überhaupt einen Sinn?
So haben damals Menschen Antworten gesucht, und wir suchen sie bis heute.
Jüdische Ausleger sehen in der Beschreibung des gerechten Gottesknechtes das ganze Volk Israel, das Gottesvolk, das immer wieder so geschlagen wurde, unansehnlich war, verachtet wurde. Wir denken bei dieser Vorstellung an den Holocaust. Da wurde die Vernichtung des Gottesvolkes auf die Spitze getrieben in unvorstellbarer Grausamkeit.
Der Prophet Jesaja verspricht auch, dass nach dem Leiden eine andere Zeit kommt: Sehr hoch erhaben wird der Geschundene sein. Nachdem er sein Leben als Schuldopfer gegeben hat, wird er das Licht schauern und die Fülle haben. Das heißt: Dieses Leiden hat einen Sinn. In der jüdischen Tradition gibt es bis heute den Jom Kippur, den Versöhnungstag, den höchsten Feiertag. Im 3. Buch Mose wird beschrieben, wie der Hohepriester alle Schuld des Volkes auf einen Ziegenbock laden und ihn in die Wüste schicken soll zur Sühne für das Volk. Heute wird es anders gefeiert, indem an diesem Tag streng gefastet wird.
All diese Vorstellungen und Traditionen schwingen mit, wenn Jesus am Kreuz stirbt – leidender Gottesknecht, Opferlamm, Sündenbock zur Versöhnung.
Was immer wir damit verbinden, wir suchen Antworten auf unsere Frage nach dem Sinn.
Vor allem aber geben das Kreuz, das Geschehen auf Golgatha, das Leiden des gerechten Gottesknechtes eher Antworten auf unser menschliches Verhalten:
Menschen schreien heute „Hosianna“ und morgen „Kreuzigt ihn“. Wie schnell schlägt Begeisterung um, politische Führer oder Stars in der Öffentlichkeit werden einmal in den Himmel gehoben und schnell auch wieder fallen gelassen.
Und wie gern waschen wir unsere Hände in Unschuld wie Pilatus oder wir schieben die Schuld auf andere, weil wir unseren Anteil daran nicht anerkennen wollen. Denn das wäre zu schmerzhaft.
Und das, was Petrus im Hof des Hohepriesters passiert ist, kennen wir doch auch, wenn wir ehrlich sind: großes Versprechen, und dann einknicken, wenn es etwas kostet, wenn gar unser Ansehen oder unser Leben gefährdet ist.
Und wie viele sind zum Judas geworden in der Nazi-Diktatur oder in der Zeit der DDR, als man andere bespitzelte und verriet, um Unannehmlichkeiten zu entgehen oder aus Überzeugung, damit das Richtige zu tun.
Das Kreuz hält uns gewissermaßen den Spiegel vor und führt zur Selbsterkenntnis: wie fehlbar wir selbst sind, wie oft unser Leben zum Scheitern verurteilt ist, wie leicht unser Lebensplan/Lebensweg durchkreuzt wird. Wie leicht unser Selbstbild ins Wanken kommt, und wir überhaupt nicht der oder die sind, die wir sein wollen.
Und dann leidet da einer sinnlos, und bringt "zu Recht", was uns Menschen nicht gelingt? Einer trägt alle menschliche Schuld, und eröffnet uns einen Zugang zur Gottes Liebe, der uns sonst verschlossen bliebe?
Schwer zu verstehen, vielleicht gar nicht zu verstehen?
Aber: da leidet nicht irgendeiner in unserer christlichen Sicht: da leidet der Christus, der Gesalbte Gottes, da leidet Gott selbst am Kreuz.
Eine solche Vorstellung war skandalös. Damit zogen sich damals die ersten Christen den Spott und den Hohn der Kritiker und Zuschauer auf sich – wie Jesus selbst auch: Gott selbst hat sich mit diesem Jesus von Nazareth so sehr identifiziert, dass er seine Ohnmacht teilte, mit ihm litt und starb.
„O große Not! Gott selbst liegt tot. Am Kreuz ist er gestorben, “ dichtete 1641 der holsteinische Pfarrer Johann Rist. Damals noch war das undenkbar, so tief konnte Gott nicht sinken! Deshalb wurde aus „Gott selbst“ „Gotts Sohn“ liegt tot, weil die schockierten Herausgeber der späteren Gesangbücher es umdichteten. Im Evangelischen Gesangbuch unter Nr. 80 ist es nachzulesen.
Welchen Sinn und welche Kraft können wir heute aus dieser Vorstellung ziehen? Auf jeden Fall macht diese Gottesbild Schluss mit jeder Art von Triumphalismus. Also auch mit einem Nationalgott, mit dem vor 100 Jahren die Soldaten in den 1. Weltkrieg zogen, „Gott mit uns“ auf den Koppelschlössern!
Und es macht auch Schluss mit einer Leistungsgesellschaft, die auf Erfolg getrimmt ist, koste es, was es wolle.
Gott selbst leidet und stirbt mit diesem Jesus von Nazareth, damals am Kreuz, und Gott leidet und stirbt mit jedem, der unschuldig ist und sich für Gerechtigkeit eintritt.
Gott leidet und stirbt mit den Gottesknechten unserer Tage, die sich mutig jeder Gewalt widersetzen. Und Gott leidet mit den Familien, die um ihre Angehörigen und Kinder trauern, die mit der Fähre vor Südkorea untergegangen sind. Gott leidet mit und deshalb war die Aufgabe von Euch Konfirmanden, Gott mitten in Eure Leidenskisten hinein zu „bauen“.
Doch es wäre falsch, aus dieser Identifizierung Gottes mit dem Leid, zu schließen, dass wir das Leiden verherrlichen sollen, dass wir Gott näher kommen, indem wir leiden. Das ist falsch und fatal.
Denn Gott wollte nicht Leid und Tod, Gott wollte und will Leid überwinden und den Tod besiegen. Deshalb ist Jesus von den Toten auferstanden. Deshalb hat Gott auch die Macht über den Tod. Deshalb war Jesus sich dieser Macht bewusst und hat die Tochter des Jairus vom Tod auferweckt und Lazarus wurde wieder lebendig, auch drei Tage nach seinem Tod. So wie auch schon der Prophet Elia den toten Jungen seiner Mutter zurück gab und Leben für beide ermöglichte.
Wenn Gott der Herr ist über Lebende und Tote, dann darf der Tod nicht das letzte Wort haben, dann ist Leiden kein Selbstzweck, dann sind wir berufen und ermutigt, Leiden zu beenden, wo immer wir es können. Dann ist unsere Aufgabe, gegen Leid und Gewalt aufzubegehren und Unrecht beim Namen zu nennen Und, wo wir Leid nicht verhindern können, Menschen im Leiden beizustehen und sie zu begleiten, für sie zu beten und sie zu trösten. Und sie nicht zu vertrösten, indem wir ihr Leid nicht ernstnehmen.
Ina Praetorius beschreibt in ihrem Buch über das Glaubensbekenntnis (Ich glaube an Gott und so weiter, Gütersloh 2011, 2. Aufl.), dass sie nach der Diagnose, an MS zu leiden, von einem Pfarrer damit vertröstet wurde, wie Jesus durch das Leiden Gott viel näher zu kommen. Erst später kann sie ihr Leiden als ihr eigenes annehmen. “Warum sollte dieses Leiden, genau meines, nicht einen SINN haben? Nicht dass jedes Leiden eine tiefere oder höhere Bedeutung hätte, nicht dass ich die für andere herausfinden könnte. Aber es steht mir frei, mein eigenes unverwechselbares Leben anzunehmen. So wie Jesus dem Gang nach Golgatha nicht ausgewichen ist. Damit es mir besser geht, und anderen.“ (S. 95)
Dann ist das Leiden des Gottesknechtes, wie der Prophet Jesaja es beschreibt, nicht umsonst, wer auch immer damit gemeint ist.
Dann zeigt das Leiden des Gottesknechtes, wie auch Leid und Tod Jesu Christi am Kreuz, dass Gottes Liebe nicht gescheitert ist, dass Gottes Liebe uns umhüllen will und dass sie stärker ist als jedes Leiden und Sterben eines Menschen.
Amen
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